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Lebenshilfe Wetterau e.V. - News

Nachdenklicher Besuch in Hadamar


Vor einigen Tagen erhielten wir von unserem Mitarbeiter Marco Wagenbach einen Beitrag von seinem Besuch der Gedenkstätte in Hadamar. Seine Gedanken zu den Euthanasie-Morden der Nazis, die sich kürzlich zum achtzigsten Mal jährten, und seinen Bezug zu unserer aktuellen Lebenssituation, möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.

 

Liebe Freunde,

ich weiß, es ist schwere Kost. Ich habe einen kleinen Text über meine Exkursion nach Hadamar Ende 2020 verfasst. Die Euthanasie-Morde der Nazis jähren sich 2021 zum achtzigsten Mal und sollten uns, insbesondere als Mitarbeiter der Lebenshilfe Wetterau, als Erinnerung und Mahnung ins Gedächtnis gerufen werden. 

Unter dem Titel, zum Gedenken an die „Euthanasie-Morde“ in Hadamar vor 80 Jahren, möchte ich gerne meinen Gedanken teilen.

Der Artikel 1 in unserem Grundgesetz sagt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Jeder Mensch ist wertvoll. Der Mensch hat immer einen Wert. Auch wenn er nicht arbeiten kann, krank ist oder eine Behinderung hat. Alle Menschen sind gleich wertvoll. Es ist egal, welche Religion oder Sexualität sie haben, aus welchem Land sie kommen, ob Frau oder Mann oder wie alt sie sind. Das Leben und die Gesundheit aller Menschen sind wichtig. Der Staat muss sie schützen. Niemand darf die Würde eines Menschen verletzen. Ein Leben ohne Menschenwürde ist ein Leben in Angst, Unterdrückung und Zwang. Kein Mensch hat das Recht, einem anderen Menschen Gewalt anzutun. Keiner darf gefoltert oder getötet werden.

Vor 80 Jahren (von Januar bis August 1941) wurden in der "Tötungsanstalt" Hadamar über 10.000 Menschen im Rahmen der „T4-Aktion“ ermordet. Ihnen wurde aufgrund einer Behinderung, einer psychischen Erkrankung oder weil sie als sozial unangepasst galten, von den Nationalsozialisten das Recht auf Leben abgesprochen. Sie wurden mit Bussen aus den Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reichs abgeholt und in insgesamt sechs Tötungsanstalten aufgeteilt. Eine davon befand sich im hessischen Hadamar. Die Opfer wurden dort in einer als Duschraum getarnten Gaskammer mit Kohlenmonoxid erstickt. Ihre Leichen wurden anschließend in zwei eigens eingebauten Krematoriumsöfen eingeäschert und den Angehörigen falsche Auskünfte über den Grund des Todes und des Sterbeortes gegeben.

Im August 1941 wurden die Gasmorde abgebrochen. Dies bedeutete allerdings nicht das Ende des NS-Euthanasie-Verbrechens. In Hadamar ging das Morden ab August 1942 weiter. Jetzt starben die Menschen an Hungerkost und überdosierten Medikamenten. Bis zum Kriegsende kamen dadurch noch einmal rund 4500 Menschen ums Leben. Unter den Opfern der zweiten Mordphase befanden sich, neben den Anstaltspatientinnen und -patienten, durch den Bombenkrieg verwirrte Menschen, „halbjüdische“ Kinder, an Tuberkulose erkrankte Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter sowie kranke Wehrmachts- und SS-Soldaten. Insgesamt töteten die Nazis über 200.000 psychisch kranke oder behinderte Menschen. "Lebensunwertes Leben" nannten sie ihre Opfer.

Was ist ein Leben wert? Auf einem Propaganda-Plakat aus der Zeit der Nationalsozialisten stand dazu geschrieben: „Täglich 5,50 Reichsmark kostet den Staat ein Erbkranker, für 5,50 Reichsmark kann eine erbgesunde Familie 1 Tag leben!“

Heute befindet sich in Hadamar am Ort des Verbrechens eine Gedenkstätte. Sie erinnert an die Opfer und hilft dabei, sie nicht zu vergessen. Auf dem Gelände wurde eine Stele mit der Inschrift „Mensch, achte den Menschen“ errichtet. Aktuell erinnert die Gedenkstätte Hadamar in besonderer Weise an die Euthanasie-Verbrechen. Sie hat eine digitale Kampagne gestartet, in der sie Biografien einzelner Opfer in den sozialen Medien aufarbeitet.

Zudem mahnt sie zu Vorsicht in der Diskussion um eine Triage von schwer erkrankten Covid-19-Patienten. Es bestünde die Gefahr, dass Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Vorerkrankungen oder Behinderungen bei einer Überlastung des Gesundheitssystems von der intensivmedizinischen Versorgung ausgeschlossen werden könnten. Medizinische Fachgesellschaften haben Empfehlungen für die Vergabe von Behandlungsplätzen veröffentlicht. Sie beschreiben eine Situation, in der es mehr Patienten als Intensivbetten gibt. Darin heißt es unter anderem, sich an Kriterien wie beispielsweise „weit fortgeschrittene neurologische Erkrankung“ oder „Gebrechlichkeit“ zu orientieren.

Der Gedenkstätte Hadamar ist es wichtig, dass Regelungen getroffen werden, die eine diskriminierungsfreie Zuteilung von intensivmedizinischer Versorgung in einer Krisensituation gewähren und so die Rechte und die Würde jedes einzelnen Menschen sicherstellen. Die Festlegung von Regelungen für Triage-Entscheidungen könne nicht ausschließlich der Medizin überlassen und müsste so breit wie möglich gesellschaftlich zur Diskussion gestellt werden. Die Gedenkstätte mahnt vor der Kategorisierung von Menschengruppen und Entscheidungen über das Lebensrecht. Dies gelte selbst in Krisenzeiten - oder sogar gerade dann.

Marco Wagenbach ist Betreuer auf der Blauen Gruppe. Er möchte Heilerziehungspfleger werden. Mit der Fachschule der Lebenshilfe Hessen besuchte er Ende 2020 die Gedenkstätte Hadamar. Es ist ihm wichtig, dass man die Gräueltaten der Nationalsozialisten nicht vergisst und dass man aus Fehlern der Geschichte lernt.

 

Wir danken Marco Wagenbach ganz herzlich für seinen Beitrag.

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